KMU Pratteln-Vereinspräsidentin Anita Fiechter-Hintermann und Vizepräsident Roman Schneider philosophieren über ihre Heimatgemeinde und darüber, wie sie sich als Wirtschaftsstandort entwickelt. Die beiden kommunikativen Persönlichkeiten freuen sich, mit dem Prattler KMU Magazin frischen Wind mitzubringen.
Anita Fiechter-Hintermann und Roman Schneider sind in Pratteln aufgewachsen. Beide erinnern sich im Gespräch an die guten und weniger guten Seiten, diskutieren über Zentralitäten und hirnen über Verkehrsthemen. Sie schmieden neue Pläne und verraten das Vereinsgeheimnis des heutigen KMU Pratteln. Aber schön eins nach dem andern, denn so ganz selbstverständlich ist es nicht, dass die beiden überhaupt beim Interviewgespräch sitzen.
Wieso?
Anita Fiechter-Hintermann: Ich bin mit 20 Jahren von Pratteln weg und wollte eigentlich nicht wieder zurückkehren. Auf einmal wird Pratteln wieder zum Lieblingsort und ich bin stolz, hier in Pratteln auch meinen Teil zur Entwicklung beizutragen. So spielt das Leben.
Roman Schneider: Ja, Pratteln hat Ecken und Kanten. Gleichzeitig ist die Gemeinde heute ein äusserst beliebter Wirtschaftsstandort. Das habe ich die letzten Monate einmal mehr erfahren, als es darum ging, einen Teil der Liegenschaft unseres Familienunternehmens zu vermieten. Die Anfragen für Lager- und Produktionsflächen, also von Unternehmen, die sich in Pratteln niederlassen möchten, sind gewaltig.
Dann hat Pratteln also vor allem in Bezug auf die KMU-Landschaft gute Seiten?
Roman Schneider: Ich schätze Pratteln nicht nur aufgrund der KMU. Auch das Vereinsleben und der Zusammenhalt ist überdurchschnittlich. Wer eine gute Idee hat, kann auf die Solidarität von fast allen zählen. Zudem unterstützten der Gemeinderat und die Bürgergemeinde die Vereine stets wohl-wollend. Deshalb kann ich auch mit gutem Gewissen sagen, dass unser Vereinsmotto «gemeinsam stark» auf Pratteln wirklich zutrifft.
Anita Fiechter-Hintermann: Ich bin in einer Zeit in Pratteln aufgewachsen, in welcher ich mitleidig angeschaut worden bin, sobald ich ausserhalb von Pratteln über meinen Herkunftsort gesprochen habe. Pratteln ist nicht immer eine Vorzeigegemeinde gewesen. Ich schätze, vor allem das «Projet urbain» hat Pratteln 2008 ein neues Verständnis für die nachhaltige Integration unserer über 100 Nationalitäten geschenkt. Heute zeigt sich Pratteln selbstbewusst.
Auch die Entwicklung der Skyline von Pratteln bringt das «Dorf» ins Gespräch.
Roman Schneider: Richtig, die Hoch-häuser rund um den Bahnhof von Pratteln verleihen der Gemeinde Pratteln ein Gesicht, das schon von der Autobahn her erkennbar ist. Genau dieser Spagat der einwohnermässigen Stadt mit dem von Prattler und Prattlerinnen gefühlten Dorfcharakter ist enorm spannend. Wenn ich an unseren Verein und die Mitglieder denke, wie sie zusammen funktionieren und handeln, dann sehe ich Pratteln nach wie vor als Dorf.
Anita Fiechter-Hintermann: Ob Pratteln eine Stadt oder ein Dorf ist, diskutiere ich schon seit meiner Kindheit. Im Kern ist Pratteln bestimmt ein Dorf. Doch die Entwicklungen rund um den Bahnhof verleihen Pratteln mittelfristig doch eher einen städtischen Charakter. Ich persönlich wünsche mir, dass sich mit der Sanierung der Bahnhofstrasse und den bevorstehenden Arealentwicklungen vermehrt Detailhändler ansiedeln. Es wäre doch schön, in Pratteln so richtig flanieren zu können?
Und was ist mit dem Dorfkern rund um den Schmittiplatz?
Anita Fiechter-Hintermann: Natürlich fände ich es schön, wenn wir mehr Einkaufsmöglichkeiten rund
um den Schmittiplatz antreffen würden. Ich bin in den Engelblöcken aufgewachsen und liebe den alten Dorfkern. Zu meinen Anfangszeiten im KMU Pratteln habe ich – wie viele andere – versucht, dem Dorfplatz wieder Leben einzuhauchen. Heute bin ich froh, gibt es unter anderen mit dem Finkbeiner noch eine Bäckerei und mit dem Bielser Lädeli einen Dorfladen im alten Kern. Gleichzeitig glaube ich, dass wir für den Detailhandel eher das Areal rund um den Bahnhof in Auge fassen sollten. Dort findet das kommerzielle Leben statt. Den Schmitiplatz schätze ich für seine Anlässe und Traditionen, als Ausgangspunkt für den Banntag, als Treffpunkt der Fasnacht oder dem Eierleset. Mit dem neuen Bürgerhaus wird künftig sicherlich auch kulturell mehr Leben auf dem Schmittiplatz stattfinden.
Roman Schneider: Seit der Sanierung der beiden Schulhäuser und der Aufwertung des Aussenraums bei der Alten Dorfturnhalle ist eine richtig schöne Begegnungszone entstanden. Trotzdem bin ich froh, dass wir die drei Kurzzeitparkplätze vor dem Finkbeiner noch ergattern konnten. Denn bei all den Aufwertungen dürfen wir die Parkplatzthematik nicht ausser Acht lassen. Wir als Verein werden uns dafür einsetzen, dass die Parkplätze nicht vergessen gehen. Das ist wichtig für den Detailhandel.
Anita Fiechter-Hintermann: Die Veloabstellplätze auch! Bei all den Arealentwicklungen muss ebenso an die Erschliessung für den Langsamverkehr gedacht werden.
Roman Schneider: Ich bin auch immer wieder mit dem Velo unterwegs. Ich verstehe deine Argumente. Doch die Parkplätze im Zentrum sind für unsere Mitglieder von grosser Bedeutung.
Anita Fiechter-Hintermann: Du hast recht. Lass uns doch beides berücksichtigen.
Nun sind wir mitten in der Verkehrsproblematik rund um Pratteln.
Roman Schneider: Ja, Verkehr und Mobilität werden grosse Themen bleiben. Doch wir profitieren als Wirtschaftsstandort davon, vor Basel zu liegen. Unternehmen in Pratteln sind gut erreichbar. Ohne lange Staus. Deshalb ziehen einige Unternehmen von Basel nach Pratteln.
Anita Fiechter-Hintermann: So wie zum Beispiel die Settelen AG, die angekündigt hat, einen Teil ihrer Unternehmung nach Pratteln in den Buss Industriepark zu verlegen.
Roman Schneider: Genau. Du leitest auch direkt ins nächste Thema über: Bezahlbare Gewerbeflächen. Wir möcht
en als Verein stärker dafür einstehen. Mit all den Arealentwicklungen wird Pratteln aufgewertet, aber es geht wertvolle Gewerbefläche verloren.
Anita Fiechter-Hintermann: Das ist tatsächlich ein Thema, für welches wir uns als Gewerbeverein einsetzen müssen. Ich bin der Meinung, verkehrsintensive Gewerbe- und Industrieunternehmen profitieren von einer Ansiedlung nahe der Autobahnausfahrt. So wie das heute bereits der Fall ist. Die Frage stellt sich, wo das
verkehrsintensive Kleingewerbe hingeht. Areale direkt am Bahnhof sollten meiner Meinung nach verkehrsarm zum Flanieren einladen. Hier siedeln sich hoffentlich Detailhändler, Gastronomen oder andere Dienstleister an, die von der guten Anbindung an den ÖV profitieren.
Bezahlbare Gewerbeflächen ist ein gutes Stichwort. Und was wären eure Wunschvorstellungen davon, was dort passieren müsste?
Roman Schneider: Ein innovatives Gewerbehaus, in welchem der Maler gemeinsam mit dem Gipser anzutreffen ist, der Bodenleger mit dem Heizungsinstallateur Hand in Hand arbeitet, wo der Holzbauer direkt zum Spengler läuft oder sich der Gärtner mit dem Metallbauer abstimmt. Im gemeinsamen Innenhof befinden sich Sitzgelegenheiten und fördern so den täglichen Austausch zwischen den Unternehmen.
Vielleicht gibt es auch gleich einen Treuhänder oder Versicherungsberater im Haus. So wie ein Mini-Ökosystem, das als Gemeinschaft zusammenarbeitet.
Anita Fiechter-Hintermann: Oh, das klingt wundervoll. Hier müsste die Gemeinde Pratteln doch Hand bieten können, oder nicht? Gibt es denn keine Flächen, auf denen man ein solches Projekt aufgleisen könnte? Allenfalls kann man auch mit den Arealentwicklern reden, um so etwas aufzubauen? Co-Working-Spaces sind ja zurzeit in aller Munde. Die Räume müssten flexibel geplant, in unterschiedlichen Grössen zur Verfügung stehen. Das wäre doch eine Vision für uns?
Roman Schneider: Absolut. Pratteln ist aus geografischer Sicht schon genügend «auseinandergerissen». Wir brauchen das lokale Handwerk, sonst bestellt man irgendwo und es entsteht noch mehr Stau. Auch bezüglich Lehrstellen müssen wir aufpassen, dass wir möglichst viel lokal hier in Pratteln anbieten können. Die Idee mit dem Gewerbehaus wäre auch für Lehrplätze spannend. Lernende könnten in die Betriebe gehen, um einen ganzheitlichen Einblick zu erhalten. So müsste das in Zukunft gehen. Auch wenn das utopisch klingt.
Anita Fiechter-Hintermann: (lacht) So sind wir halt. Ein wenig verrückt und querdenkend! Und wenn wir schon beim Wunschkonzert sind. Ich wünschte mir gerne einen natürlichen Badeplatz auf Prattler Boden. Kann man den Rhein zugänglicher machen?
Jetzt sind wir mitten in den Visionen. Wohin geht die Reise mit dem KMU Pratteln?
Anita Fiechter-Hintermann: Wir feiern in zwei Jahren unser 125-jähriges Jubiläum. Wir möchten gerne etwas schaffen, das der Bevölke rung von Pratteln etwas Nachhaltiges bringt. Wir haben auch schon Ideen, aber spruchreif sind die jetzt wirklich noch nicht.
Roman Schneider: Ich würde was bevorzugen, das unserem Motto «gemeinsam stark» entspricht. Ein Gemeinschaftsprojekt, bei welchem unsere Mitglieder miteinander kollaborieren. Vielleicht etwas Spielerisches? Etwas, das «für immer» gebaut wird. Mal sehen, was hier entsteht. Wir werden sicherlich bald eine Arbeitsgruppe für unser Jubiläum aufstellen.